Ab durch die Mitte bis nach Perpignan !!

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Also Moment mal, wie war das noch mal? Vor ein paar Tagen noch bewegten wir uns neben römischen Theatern und hochgelegenen Weinbergen und heute schauen uns westlich von uns gelegen die Pyrenäen an! Meine Lieben es ist ein Fest, es ist berauschend, ich kann mich nicht anders ausdrücken, es ist einfach ein großartiges Gefühl, dass wir beide gemeinsam schon so weit mit unserem Tandem gekommen sind! Perpignan zu erreichen bedeutete, uns an zig Urlaubsorten vorbeizuschlingern …. aber ich fange noch mal von vorne an! –

Letzten Dienstag schwangen wir uns in Vauvert also wieder auf unser treues Gefährt. Alles was noch aus unseren Muskeln herauszuholen war, wollte endlich ans Meer, wollte das Gefühl haben, es geschafft zu haben das mittlere Blau unseres Kontinenten erreicht zu haben. Bevor wir aber in St. Marie de la Mer abends den Horizont im sich verbindenden Himmelblau erblicken durften, reizte uns noch ein Schlenker durch die „petit Camargue“ – eine Landschaft durchzogen von Salzseen, Schilf mit Bibern (leider viele auf der Straße tot gefahren) und rosa Flamingos mit gebogenen weißen langen Hälsen! Typisch für diese Region ist auch die Zucht der Camargue Pferde … daneben Stiere mit mächtigen Hörnern! Wir fanden viele kleine Wege, die uns an neugierigen Herden vorbeiführten, öfters auseinanderstobend, wenn uns eines der zahlreichen Wohnmobile überholte. Ja, die Generation 60 + scheint das Wohnmobil als zu ihr passendes Gefährt für den südfranzösischen Herbst gefunden zu haben! Meterweise stehen sie in erster und zweiter Reihe direkt am Meer oder auf dafür vorgesehenen Parkplätzen, aus Frankreich, England, Holland, Belgien und natürlich Deutschland. Wenn wir mal nicht weiter wissen, die Karte also nicht auf die Realität passt, finden wir immer wieder schnell Menschen, die uns Abkürzungen erklären oder schöne Wege kennen, so auch andere französische Radler, die an ihrer Trikotausrüstung gleich zu erkennen sind! Oder wieder so ein netter Zufall, dass wir gerade als ein Verbindungsstück beim Anhänger durchgebrochen war, einen freundlichen Herrn antrafen, der uns kostenlos in 20 Minuten wieder alles zusammen geschweißt hat!

Was wir selbst erlebten neben strahlendem Sonnenschein (wie schön, dass auch ihr gerade einen herrlichen Altweibersommer verlebt!) war die Verbindung mit der einzigartigen Natur, die wir hier vorfanden … links das Meer mit Anglern, rechts ein Naturschutzgebiet mit Flamingos (die übrigens erst mit den Fußspitzen das Wasser berühren, bevor sie gänzlich ins Wasser gleiten) am Horizont Hügel, Berge ja schon fast – der pustend brausende Wind von allen Seiten. Kurz ein Abstecher am Kanal Medi … bewachsen mit Platanenalleen, ein wirkliches Weltkulturerbe. Dann wieder wie aus dem Nichts ein kurzes Treffen mit anderen deutschen Tourenradlern! Manche Wege so finden wir sollen nicht aufhören, sind sie doch viel zu schön, als dass wieder ein Hafen beginnt, viel zu gut ausgebaut ist doch gerade diese Promenade, viel zu schön fährt es sich längs des Wassers mit frischer Luft in der Nase, bloß nicht wieder an eine Straße … und dann geht es doch wieder ein Stück und na klar, ohne Stadt, ohne Cafés oder Gastgeber_innen könnten wir den blog ja gar nicht führen, bzw. könnten wir uns nicht in den wirklich vielfältig ausgestatteten Bioläden aus dem biocoop-Netzwerk zur Selbstversorgung eindecken!

Von Dienstag bis Samstag lebten wir ganz mit dem Rhythmus des Küstenlebens: wenn es dunkelte suchten wir uns einen zugänglichen Strand und legten uns unter unser Moskitonetz … dazu noch mal eine kleine Anekdote: wer Florian einmal gern so richtig fest sitzend sehen möchte, der muss mit ihm an einem Strand sein, an dem die Mücken nur so stechen und er kommt nicht mehr aus dem Zelt raus 😉 …. @ Mama, das Zelt ist echt super !!

Sicher unter dem Moskitonetz ließ sich von Moment zu Moment mehr beobachten, wie sich der gerade noch rot orange und lila gefärbte Himmel in ein tiefes Blau verwandelte, sich der Himmel dann mit immer mehr Sternen ausschmückte. Ja, einschlafen mit Wellenrauschen, manchmal blitzte ein Leuchtturm auf – aufwachen zwischendurch war sicher einzuordnen: war der Himmel noch schwarz, war es noch Nacht, also wieder umdrehen und weiter schlafen … bis sich östlich ab 7:30 das erste Rot vom Wasserblau wie ein gerader Strich mit einem Buntstift gezogen abhob.


Tagsüber wieder wechselt sich feuchtes Klima mit Raum für reichliches Ernten von Meersalz mit von der Sonne warm angestrahlten Mauern und Wänden ab, an denen klitze kleine Salamander in Sekundenschnelle die Höhe erklimmen. Perfekte Konditionen also auch für die ersten Olivenhaine!

Ich muss euch sagen, dass mich seit Lyon als einziges Städtchen wirklich nur Aigues Mortes begeistert hat. Ein altes „Kreuzritterfahrerstädtchen“, welches heutzutage friedlich neben riesigen Salzbergen zu entdecken ist. Kleine intensiv farbig getünchte Häuser mit lauter bunten Kletterpflanzen geschmückt und irgendwie heimelig eingerahmt durch die Stadtmauer. In Sete wieder ganz andere Eindrücke: dort trafen wir einen beachtlichen Handelshafen an. Eine Fähre würde gleich nach Marokko ablegen. 36 Stunden Überfahrt für 100 Euro. Ich stutzte einen Moment. So günstig? So einfach? Hatte ich mir das schon mal bewusst gemacht? Das müsste doch von der anderen Seite auch so leicht gehen, oder?

Es folgt eine kleine Reise in „Veras Welt“ : Ihr wisst es genauso wie ich, dass jährlich tausende Menschen auf dem Weg nach Europa oder in die USA auf der Suche nach einem besseren Leben ihr eigenes und einziges Leben lassen. Die Gründe sind sicherlich so vielseitig wie Menschen, die sich auf den Weg machen. Und viele gehen mittlerweile auch nicht mehr los, weil sie wissen, wie riskant es ist, weil es Rückkehrer und Rückkehrinnen gibt, die ehrlich berichten, wie es ihnen bei uns ergangen ist. Und dennoch, die Flut reißt nicht ab.

Franz Kamphaus ein ehemaliger Bischof von Limburg sagte 2007: “Wir haben die gemeinsame Verpflichtung, nicht an einer Festung Europa zu bauen, sondern die Grenzen durchlässiger zu machen ­ auf Afrika und andere Kontinente hin.” Also wünsche ich mir Marokko doch ganz anders als heute, wünsche ich mir, dass dort jedes europäische Land ein Häuschen einrichtet mit an den ankommenden Menschen interessierten Angestellten: Mit lauter Computern, die die offenen Stellen in den jeweiligen Ländern auflisten. Dass daneben gleich eine Stelle bereit ist, die Sprachtests durchführt oder Sprachkurse anbietet, dass Arbeitsvisa ausgestellt werden – meinetwegen erstmal für ein Jahr, damit die Ankömmlinge für sich feststellen können, ob sie sich überhaupt wohlfühlen. Und eben Tickets verkauft werden für eine gesunde Überfahrt. Ja ich wünsche mir eben ein echtes Interesse aneinander … kann es denn nicht eine Bereicherung für beide Seiten sein? Anstelle dessen bekommen die meisten, die durchkommen Stellen als billige Erntehelfer_innen oder Putzkräfte angeboten und schuften Jahre meist ohne Krankenversicherung und sicheren Aufenthaltsstatus. Wenn wir an ihrer Stelle wären … was würden wir uns wünschen? hier könnt ihr euch weiter zum Thema informieren, wenn ihr wollt: Menschenrechte ohne Grenzen e.V.

… Samstag kamen wir in Perpignan an, der letzten mittleren Großstadt vor der spanischen Grenze – früher einmal Hauptstadt des Königreichs Mallorca … hattet ihr schon mal etwas vom Königreich Mallorca gehört? Ich jedenfalls nicht 🙂 Ich war ganz begeistert von den engen Gassen, vielen hübschen bunten Häusern und Plätzen, mittendrin war Markttag, sogar ein Biomarkt! Derzeit sind wir zu Gast gleich am Meer bei Aleksandra und Irek (mit Natalia) aus dem Permaculture Hospitality Network von Couchsurfing. Sie sind Ende 30 und gehören wie viele ihrer Generation in Polen zu denjenigen, die vor 2005 in Paris und London gute Jobs in der IT-Branche gefunden haben. Beiden war aber irgendwann das Leben in Großraumbüros ein Graus und somit zog es sie hierhin in die wärmste Gegend Frankreichs. Wie wir schon beim ersten Abendessen feststellen konnten, hat dies auch Ernährungsgründe. Die gesamte Familie ernährt sich nämlich überwiegend roh und vegan. Das heißt es gibt Gemüse und Obst in rauen Mengen, dazu pure Leinsamen, Nüsse wie z.B. die „Cococitos“ und Algen. …. schon einmal Mangold roh gekostet? Schmeckt wirklich gut finde ich 🙂 Ihr Ziel ist es, sich mithilfe eines ländlich gelegenen Grundstücks mittelfristig hier selbst zu ernähren, was fast ganzjährig möglich ist. Es ist eben immer wieder eine Reise vorbei an anderen Lebensstilen und Entwürfen, die dazu einladen sich darauf einzulassen und das mitzunehmen, was uns selbst weiter bereichert! Mit ihnen waren wir gestern bei einem „Eco-Festival“ schon in den Pyrenäen gelegen, mit lauter pestizidfreien Produkten aus der Region, Saatgut-Tauschbörse – wir sind nun eingedeckt mit alten Sorten zum Pflanzen auf den Kanaren! – Musik zum Tanzen sowie vielen anregenden Gesprächen. Ich freu mich nun riesig auf Spanien, auf die Kanaren, ya me veo hablando el espaniol todo el día 🙂 (ich erlebe mich schon innerlich jeden Tag bald Spanisch sprechend) darauf freue ich mich wirklich sehr! Morgen geht es weiter in Richtung Barcelona … neue Bilder in der Gallerie!

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